Gin Wigmore „Blood To Bone“
Auf „Blood To Bone“, ihrem dritten Studioalbum, bricht Gin Wigmore in vollkommen neue Klangregionen auf: Man hört sofort, wie viel von diesem „Blood“, wie viel Herzblut sie investiert hat, um uns, ihren Zuhörern, eine ganz andere musikalische Spritztour zu bieten, eine Tour, die vor allem von dem Wunsch nach einem neuen Sound, nach frischen Beats gekennzeichnet ist. Denn die 28-jährige Neuseeländerin, die inzwischen in Los Angeles lebt, bleibt dieses Mal nicht nur ihren Rock- und Blues-Wurzeln treu, sondern experimentiert erstmals auch mit elektronischen Sounds – was ihren Songs letztlich nur noch mehr Nachdruck, noch mehr Tiefgang und Gewicht gibt.
Nachdem sie bereits mit ihrem 2009 veröffentlichten Debütalbum „Holy Smoke“ massive Erfolge gefeiert hatte, war es ihr vom Blues inspirierter Nachfolger „Gravel & Wine“ (2011), der die junge Ms. Wigmore endgültig zum Kritiker-Darling machte. „Mein Ziel für ‘Blood To Bone’ war es nun, einen ganz bestimmten Sound einzufangen, der abwechslungsreich und einfach mal ‘heavy’ ist. So lautete mein Mantra, das ich wirklich bei jedem einzelnen Song im Hinterkopf hatte“, so ihr Kommentar.
„Das Album sollte als eine Art Sprungbrett fungieren, von dem aus ich in die ganzen musikalischen Ecken eintauchen konnte, die mir vorher noch unbekannt waren. Das war schon eine echte Herausforderung, zu sehen, was ich noch alles machen konnte, und ich kam zwischenzeitlich sogar an einen Punkt, an dem es sich fast schon wie eine selbst auferlegte Strafe anfühlte – aber ich musste da einfach durch.“
Die Aufnahmen zu „Blood To Bone“ fanden in ihrer Wahlheimat Los Angeles statt, wo Gin Wigmore mit unterschiedlichen Songwritern zusammenarbeitete, unter anderem mit Charlie Andrew (Alt-J, Matt Corby & Laurel Collective), dem international renommierten Produzenten Stuart Crichton und dem Schweden Joakim Ahlund, der z.B. vergangenes Jahr an Chrissie Hyndes (The Pretenders) spätem Solodebüt „Stockholm“ mitgearbeitet hatte.
Gemeinsam mit ihnen verlässt die gebürtige Neuseeländerin ihr angestammtes Terrain und setzt stattdessen auf pure Lust am Experiment, denn vieles, was auf diesem Album zu hören ist, macht sie hier zum allerersten Mal: Sie spielt Klavier, präsentiert ihre Falsettstimme, kümmert sich um die Background-Vocals und schlüpft sogar in die Rolle der Co-Produzentin ihrer LP. „Ja, diese angestammte Komfortzone zu verlassen und Songs zu schreiben, die einfach mal ganz anders funktionieren, das war die Kernidee dieses Albums. Es gab so viele Musikgenres, für die ich noch nicht mal wirklich aufnahmefähig war, bevor es mit der Arbeit an diesem Album losging – das ist fast schon so, als ob mein musikalischer Geschmackssinn durch diesen Prozess ganz neue Rezeptoren dazubekommen hätte. Man kann das wohl mit einem Kind vergleichen, das allein den Gedanken an Rosenkohl oder Pilze nicht ausstehen kann. Doch wenn man dann langsam erwachsen wird, entdeckt man diese Dinge schliesslich doch für sich, findet sie manchmal sogar am leckersten – nur muss man einfach reif dafür sein“, berichtet Wigmore.
„Als ich mich dann mit Stuart an die Arbeit machte, gab’s nur einen einzigen Plan: Wir wollten unbedingt mit dem Beat, dem Groove anfangen – und alles andere sollte erst danach an die Reihe kommen.“ Kein Wunder also, dass das Eröffnungsstück „New Rush“ gleich zur Sache kommt, wenn knallharte Beats auf Wigmores unverkennbare Stimme treffen. Das Stück entstand während eines Abstechers nach London, wo Gin mit Charlie Andrew in den Iguana Studios arbeitete.
„Charlie ist einfach unglaublich“, schwärmt die Neuseeländerin. „Er ist ein richtiger Spezialist, ein Wissenschaftler, was die Kombination von Instrumenten und echt schrägen elektronischen Effekten angeht, die man später darüberlegt. Die Erfahrung, mit Charlie im Studio zu sein, hat meinen ganzen musikalischen Ansatz auf den Kopf gestellt – und zugleich das Tempo für dieses Album vorgegeben“, so Wigmore weiterhin, die laut eigener Aussage „jede Menge Portishead, Alt-J, Woodkid, Irma Thomas und Mos Def“ gehört hat, während sie die neuen Songs komponierte und aufnahm.
„Genau dieser Groove war es auch, der mich interessierte; ihn wollte ich auch finden und überhaupt erst mal verstehen, was an diesen Songs dran ist, was es letztlich ist, das einen daran so bewegt und berührt. Mit jedem einzelnen Song, den ich für dieses Album aufnahm, habe ich versucht, näher an diese Essenz heranzukommen und diese Sache zu packen. Und als ich dann zurück in Los Angeles war, habe ich viel mit meiner Stimme herumexperimentiert, hab nur so ätherisch klingende Background-Vocals aufgenommen und zugleich so viel mit Falsettgesang gearbeitet, dass ich das hinterher fast nur noch gemacht habe. Ich war einfach offen für diese ganzen neuen Dinge, weshalb das neue Album echt experimentell geworden ist.“
Auf „Nothing To No One“ präsentiert sie einen düsteren Pop-Entwurf, wenn ein Hauch von Soul auf ganz subtile Electro-Elemente trifft, während sich im Fall von „This Old Heart“ ein Klavier anbahnt und Gin den Blick auf die Vergangenheit richtet und darüber sinniert, schwierige Phasen durchzustehen und weiterzumachen. „Die Songs sind von ganz unterschiedlichen Dingen inspiriert“, weiss sie zu berichten, „und manche von ihnen beziehen sich ganz direkt auf mein Leben, meine Erfahrungen, während andere eher metaphorisch zu verstehen sind.“
„Manchmal gelingt es mir, persönliche Erfahrungen sofort zu verarbeiten, also direkt danach darüber zu schreiben, aber es gibt auch Situationen, bei denen erst mal genug Gras über die Sache gewachsen sein muss, bis ich mich da überhaupt heranwagen kann.“ Ihre erste Single „Written In The Water“ entstand erst im allerletzten Moment, als der Rest des Albums schon so gut wie im Kasten war; das Ergebnis ist die perfekte Kombination von Sixties-inspirierter Sehnsucht und elektronischem Hier und Jetzt. „Für mich fühlt sich der Song wie ein Stück an, das auch von meinem letzten Album ‘Gravel & Wine’ hätte stammen können. Wir haben irgendwann einfach ‘Scheiss drauf’ gesagt – wir machen das jetzt einfach, weil es sich richtig anfühlt. Ich stehe voll auf diese Mischung aus Hell und Dunkel, wie untenherum dieser Sub-Bass und der krasse Beat dominieren und darüber dieser schräge, süssliche Hintergrundgesang abhebt und alles zerfliessen lässt.“
Wigmore zog schon vor ein paar Jahren nach Los Angeles, nachdem sie in Australien eine extrem unschöne Trennungsphase durchlebt hatte. Inzwischen hat sie einen neuen Partner gefunden – Jason Butler, den Sänger der Post-Hardcore-Band letlive. – und verhandelt auf „Blood To Bone“ nun beides: zurückliegende Geschehnisse und zugleich das gute Gefühl, das ihr die neue Beziehung gibt. „Inzwischen geht es mir echt wieder super, aber als damals alles um mich herum in die Brüche ging, war es wirklich schwer, die Sache hinter mir zu lassen und dabei den Glauben nicht zu verlieren, dass es mir irgendwann wieder gut gehen könnte“, berichtet sie.
„Ich weiss gar nicht so genau, wie’s für mich weitergeht“, setzt Wigmore an, wenn man sie abschließend auf ihre Pläne nach der Rückkehr mit dem neuen Album anspricht. „Was ich jedoch weiss, ist, dass ich genau dieses Album an genau diesem Punkt in meinem Leben machen musste. Es musste einfach raus, damit ich das nächste Kapitel meines Lebens in Angriff nehmen kann. Ich weiss jetzt, dass ich für alles bereit bin, worauf ich mich eingelassen habe – und das gibt mir ein gutes Gefühl.“
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